Tat-Sachen

Themenschwerpunkt »Heroes«

In der Saison 2023/24 prägen sie die Konzerte der Berliner Philharmoniker: Heldinnen und Helden verschiedenster Zeiten und Kulturkreise. Oft genug scheitern sie an ihren übergroßen Aufgaben. Und doch kann ihre Tatkraft uns ermutigen – im Kampf gegen die Herausforderungen unserer Zeit ebenso wie beim Streben nach Selbstverwirklichung.

Man könnte verzagen angesichts der Krisen der Gegenwart. Ob Krieg, Klimawandel oder die Bedrohung der Demokratie: Alle diese Herausforderungen erscheinen zu gewaltig, um von gewöhnlichen Menschen bewältigt zu werden. Aber vielleicht von ungewöhnlichen? In der Geschichte und in der Kunst gibt es sie immer wieder: Männer und Frauen, die mit außergewöhnlichen Kräften – Tatkraft, Geisteskraft, Überzeugungskraft – ausgestattet sind. Man nennt sie Held oder Heldin, und die Sehnsucht nach ihnen begleitet die Menschheit von Anfang an.

In ihren Konzerten der Saison 2023/24 zeigen die Berliner Philharmoniker im Themenschwerpunkt Heroes die vielfältigen Konzepte von Heldentum in der Musik. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist Ludwig van Beethovens Dritte Symphonie, die »Eroica«. An ihr lässt sich auch nachvollziehen, worin dramaturgisch der Reiz einer Heldengeschichte besteht – nicht nur in der Musik, sondern ebenso in Literatur und Film. Der Ausgangspunkt ist meist eine verzweifelte Situation, wie sie in der »Eroica« ein Trauermarsch verkörpert. Doch dann wird das Unglück in zähen Kämpfen überwunden – am Ende stehen Jubel und Erleichterung. Die »Eroica« vermittelt uns gleichzeitig die Tücken einer Heldenerzählung. Ursprünglich wollte der freiheitsliebende Komponist hier ein Denkmal für den Revolutionär Napoleon Bonaparte schaffen. Als der sich jedoch zum Kaiser krönte, kratzte Beethoven die Widmung so energisch aus, dass das Papier riss. Und wir sehen: Helden erfüllen ihre Mission oft nicht so, wie wir es gern hätten. Sie scheitern moralisch oder auch schlicht an der Größe ihrer Aufgabe.

Gebrochene Helden

In dieser Saison kann man einige solcher gebrochenen Heldinnen und Helden kennenlernen. Vor allem im Schaffen Richard Wagners gibt es sie: Siegmund und Sieglinde in der Walküre sind zweifellos mutig, aber letztlich nur Schachfiguren in einem Spiel der Götter. Nachdem ihr Tod beschlossen wurde, können sie dem nichts mehr entgegensetzen. Oder Tristan: ein brutaler Krieger, der sich einen Spaß daraus macht, den Kopf eines getöteten Feindes an dessen Verlobte zu schicken. Als er sich jedoch Fragen von Liebe und Treue stellen muss, bricht er zusammen und stirbt. Am ambivalentesten ist vielleicht Richard Strauss’ Elektra, eigentlich eine perfekte Heldin. Sie ist wild entschlossen, und indem sie den Mord an ihrem Vater sühnen will, hat sie moralisch das Recht auf ihrer Seite. Doch ihr Hass hat am Ende alle menschlichen Regungen in ihr getötet. Unter den berühmten Frauen in Heldengeschichten darf Jeanne d’Arc nicht fehlen, die uns in einem Oratorium von Arthur Honegger begegnen wird. Auch sie scheitert und wird verbrannt, als Opfer der politischen Verhältnisse.

Politik spielt in musikalischen Heldensagen oft eine wichtige Rolle. Nicht bloße Folklore, sondern ein Statement sind die Legenden von Amazonen und Kriegern in Bedřich Smetanas Zyklus Mein Vaterland. Tschechien, so erfahren wir, ist eine stolze Nation mit eigener Kultur  – und damit weit mehr als das Hinterland der damals regierenden Habsburger. Weitere Manifeste finden sich in dieser Saison in der Vierten und in der Siebten Symphonie Dmitri Schostakowitschs. Letztere, entstanden während des Zweiten Weltkriegs, ist eine Reverenz an den Widerstand Leningrads gegen die Wehrmacht. Die Vierte Symphonie hingegen sollte Schostakowitschs Version einer »Eroica« werden und monumental die Errungenschaften der Sowjetunion feiern. Kurz vor der Uraufführung jedoch nötigten die Kulturfunktionäre Schostakowitsch, das Werk zurück-zuziehen – zu viel Skepsis war zwischen aller Grandiosität zu hören.

Wer werden wir durch unsere Taten?

Und dann gibt es noch Heldinnen und Helden, deren Taten sich nicht auf der Weltbühne, sondern im Privaten ereignen. In dieser Spielzeit treffen wir sie vor allem in Tondichtungen von Richard Strauss an, in Ein Heldenleben, Don Juan und Tod und Verklärung. Die Protagonisten – speziell Don Juan – sind nicht unbedingt Sympathieträger. Auch wirkt es einigermaßen unbescheiden, dass Strauss mit dem Heldenleben niemand anderes als sich selbst porträtierte. Zugleich formulieren die drei Werke ein Bestreben, das bis heute aktuell ist: das nach Selbstverwirklichung. Darin besteht, so Strauss, wahres Heldentum.

In der vorigen Saison ging der Themenschwerpunkt Identitäten der Frage nach, wer wir sind, aufgrund von Herkunft und Prägung. Mit Heroes weitet sich der Blick, hin zu der Frage: Wer werden wir durch unsere Taten? Nicht zuletzt Heldinnen und Helden können hierauf eine Antwort geben. Im  besten Fall sind sie eine Inspiration, wenn wir uns gegen die Herausforderungen der Gegenwart stellen oder für die Erfüllung unserer Träume kämpfen. Ihre Siege sind eine Ermutigung, nicht aufzugeben, ihre Niederlagen zeigen uns, dass Scheitern zum Menschsein gehört.

Konzerte mit dem Themenschwerpunkt »Heroes«

Fr 25.08.23 19 Uhr
Kirill Petrenko Dirigent
Richard Strauss
Ein Heldenleben

Fr 22.09.23 20 Uhr
Sa 23.09.23 19 Uhr
So 24.09.23 20 Uhr
Herbert Blomstedt Dirigent
Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 3 Es-Dur »Eroica«

Do 28.09.23 20 Uhr
Fr 29.09.23 20 Uhr
Sa 30.09.23 19 Uhr
Tugan Sokhiev Dirigent
Dmitri Schostakowitsch
Symphonie Nr. 4 c-Moll

Do 14.12.23 20 Uhr
Fr 15.12.23 20 Uhr
Sa 16.12.23 19 Uhr
Andris Nelsons Dirigent
Richard Strauss
Don Juan

Fr 29.12.23 20 Uhr
Sa 30.12.23 19 Uhr
So 31.12.23 17.30 Uhr
Kirill Petrenko Dirigent
Vida Miknevičiūtė Sopran
Jonas Kaufmann Tenor
Georg Zeppenfeld Bass
Richard Wagner
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg:
Ouvertüre und Der Venusberg
Die Walküre: Akt I

 Do 11.01.24 20 Uhr
Fr 12.01.24 20 Uhr
Sa 13.01.24 19 Uhr
Kirill Petrenko Dirigent
Béla Bartók
Der holzgeschnitzte Prinz

 Mi 31.01.24 20 Uhr
Do 01.02.24 20 Uhr
Fr 02.02.24 20 Uhr
Daniele Gatti Dirigent
Richard Strauss
Tod und Verklärung
Richard Wagner
Tristan und Isolde: Auszüge

 Fr 23.02.24 20 Uhr
Academy of Ancient Music
Laurence Cummings Dirigent
Mary Bevan Sopran
Handel’s Heroines
Arien von Georg Friedrich Händel

Do 04.04.24 20 Uhr
So 07.04.24 20 Uhr
Kirill Petrenko Dirigent
Nina Stemme Sopran
und weitere Solist*innen
Richard Strauss
Elektra (konzertante Aufführung)

Mi 08.05.24 20 Uhr
Do 09.05.24 20 Uhr
Fr 10.05.24 20 Uhr
Kirill Petrenko Dirigent
Bedřich Smetana
Mein Vaterland

Do 23.05.24 20 Uhr
Fr 24.05.24 20 Uhr
Sa 25.05.24 19 Uhr
Yannick Nézet-Séguin Dirigent
Dmitri Schostakowitsch
Symphonie Nr. 7 C-Dur

 Do 06.06.24 20 Uhr
Fr 07.06.24 20 Uhr
Sa 08.06.24 19 Uhr
Alan Gilbert Dirigent
MDR-Rundfunkchor
Vokalhelden
Arthur Honegger
Jeanne d’Arc au bûcher