Wenige haben solchen Einfluss auf den Gang der Musikgeschichte gehabt, wie Arnold Schönberg. Ihn allein auf die Rolle des Erneuerers zu reduzieren, wird seinem faszinierend vielgestaltigen Schaffen allerdings nicht gerecht. Aus Anlass von Schönbergs 150. Geburtstag gibt ein Themenschwerpunkt über zwei Spielzeiten hinweg Gelegenheit, den Komponisten neu zu entdecken.
Es ist nicht ganz so gekommen, wie Arnold Schönberg es sich gewünscht hatte: »dass man mich für eine bessere Art von Tschaikowsky hält« und »meine Melodien kennt und nachpfeift«. Aber Angst haben muss vor dem einstigen Bürgerschreck, der 1911 in Berlin als »Gaukler und Humbugmacher« attackiert wurde, heute auch niemand mehr. Und dass Schönberg schon zu Lebzeiten einer der einflussreichsten Protagonisten der Musikgeschichte gewesen ist, lässt sich ohnehin nicht bestreiten. Sein Status als messerscharfer Denker, als gesuchter Lehrer, als Schöpfer kühner kompositorischer Neuordnungen ist längst anerkannt. Gemessen an Schönbergs Bedeutung wird seine Musik jedoch immer noch zu wenig gespielt.
Als der junge Schönberg seine Laufbahn als Bankangestellter an den Nagel hängte und sich zum Entsetzen seiner Familie für die Musik entschied, konnte niemand die Folgen voraussehen. Von seiner Geburtsstadt Wien führte ihn 1901 ein erster Job nach Berlin, zu Ernst von Wolzogens Kabarett Überbrettl. Der Berliner Kapellmeister Richard Strauss lobte die »Sachen« des jungen Kollegen, die, »wenn auch noch überladen, doch von großem Können u. Begabung zeugen«. Das »Überladene« sollte Schönberg bald abstreifen. Als er sich 1911 zum zweiten Mal in Berlin niederließ, hatte er bereits ein neues ästhetisches Programm im Gepäck: »Ich strebe an: vollständige Befreiung von allen Formen, von allen Symbolen, des Zusammenhangs und der Logik. Also: weg von der ›motivischen‹ Arbeit. Weg von der Harmonie, als Cement oder Baustein einer Architektur.«
Schönbergs Ziel: die »Befreiung von allen Formen des Zusammenhangs und der Logik«
Schon 1906 hatte Schönberg in seiner Kammersymphonie op. 9 einen neuen Weg eingeschlagen. Dieses Schlüsselwerk der Moderne bezeichnete er selbst als »wirklichen Wendepunkt«. Die äußerste Transparenz der Partitur weist bereits auf die Abschaffung der traditionellen Hierarchie zwischen Melodie- und Begleitinstrument hin. Noch hatte er sich nicht von den Fesseln der Tonalität gelöst, die bisherigen harmonischen Regeln aber bis an den Rand ausgedehnt. Und vom einstigen Über-Ich Wagner, dem er in den gigantischen Gurre-Liedern zumindest teilweise gefolgt war, hatte er sich nun befreit.
Drei Jahre später schuf Schönberg einen modernen »Anti-Wagner« mit seinem Monodram Erwartung, einer psychologischen Fallstudie über die Angstzustände einer Frau. Musikalischer Expressionismus in Reinkultur: nervös, fragmentarisch, hypersensibel. Erwartung flackert in emotionalen Extremen auf und hat sich noch nicht vom opulent besetzten spätromantischen Orchester verabschiedet. Die hier schon angelegte knappe Geste aber sollte Schönberg weiter perfektionieren. Kürze und Plastizität waren sein Credo und führten ihn endlich um 1920 zur »Musik mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen«, die ein neues musikalisches Ordnungssystem begründete.
Dass diese Neuordnung völlig losgelöst von allem Dagewesenen hereingebrochen sei, war ein Missverständnis seiner Kritiker, die ihm attestierten: »Der Spuk wird vorübergehen; er hat keine Zukunft, kennt keine Vergangenheit.« Das Oratorium DieJakobsleiter etwa, an dem Schönberg von 1916 bis zu seinem Tod 1951 arbeitete, lässt quasi in Sedimentschichten nachvollziehen, wie Schönbergs neues System aus seinem Frühstil herauswuchs. Auch wurde Schönberg nicht müde, seine Verwurzelung in der Musikgeschichte von Bach bis Brahms zu betonen.
Schönberg wurde nicht müde, seine Verwurzelung in der Musikgeschichte zu betonen.
Schönbergs dritter Aufenthalt in Berlin begann vielversprechend: Er leitete als Professor eine Meisterklasse an der Akademie der Künste, und seine Variationen für Orchester op. 31 wurden 1928 von den Berliner Philharmonikern unter Wilhelm Furtwängler uraufgeführt. Doch fünf Jahre später jagten ihn die Nazis aus dem Amt. Im Exodus der jüdischen Intellektuellen verließ Schönberg Deutschland als einer der Ersten und emigrierte in die USA. Dort blieb er ein unbequemer, respektvoll bestaunter Außenseiter.
Im Rahmen des aktuellen Themenschwerpunkts zum 150. Geburtstag kann man Schönbergs Aufbruch in die Moderne nun nacherleben. Konzerte der Berliner Philharmoniker, Kammerkonzerte und eine Ausstellung zeigen die Vielseitigkeit dieses Künstlers, dessen »Hingabe an das Unbedingte«, wie es Franz Werfel formulierte, unvermindert fasziniert.
Der Schönberg-Schwerpunkt der Saison 2023/24
Donnerstag,
25. Jan 2024, 20.00 Uhr
Großer Saal
Aboserie: B – Konzerte mit den Berliner Philharmonikern
Do. 25. Jan 2024, 20:00 Uhr
Großer Saal
Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko Dirigent
Wolfgang Koch Bariton (Gabriel)
Daniel Behle Tenor (Ein Berufener)
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke Tenor (Ein Aufrührerischer)