
Eigentlich hatte Christoph Streuli nur zufällig das Radio eingeschaltet. Aber was der philharmonische Geiger zu hören bekam, war so außerordentlich, dass er dranblieb: Es war der deutsch-amerikanische Geigenvirtuose Augustin Hadelich. Im Oktober stellt er sich in drei Konzerten mit den Berliner Philharmonikern vor.
Ganz ähnlich wie Streuli erging es dem Philharmoniker Alessandro Cappone, ebenfalls Geiger. Er surfte durchs Internet, um mal zu schauen, »was die Jugend so macht«. Bis er bei Hadelich hängen blieb. »Er ist ein toller Musiker, hat einen glockenreinen Ton und eine blitzsaubere Intonation. Außerdem gestaltet er sehr persönlich.« Cappone schlug dann auch vor, Augustin Hadelich nach Berlin einzuladen. Am 7. Oktober kommt es nun zu seinem Debüt beim Orchester, mit Prokofjews Zweitem Violinkonzert – ein Auftritt, den nicht nur Streuli und Cappone mit Spannung erwarten.
Denn Augustin Hadelich sorgt gerade für Aufsehen in der Musikwelt, nicht mehr allein in seiner Wahlheimat USA, sondern zunehmend auch in Europa. Gewiss: Auch Hadelich begann seine Laufbahn als eine Art Wunderkind, legte als 13-Jähriger schon seine ersten CDs vor. Aber wenn man ihn heute von seinen Anfängen sprechen hört, klingt das völlig unaufgeregt und hat so gar nichts von Zirkus oder dressiertem Pudel an sich.
Jugend in Italien
Hadelich wurde in Italien geboren, als Sohn deutscher Eltern, die in der Toskana einen Hof mit Weingut bewirtschafteten. Die Musik spielte eine große Rolle in der Familie: »Meine früheste Erinnerung an das Geigenspiel ist, wie ich als Fünfjähriger unter einem Olivenbaum übte, während meine Eltern ernteten«, erzählt er. Dass seine Kindheit die reine Idylle gewesen sei, weist er allerdings zurück. »Ich kannte viele Dinge gar nicht, die für andere selbstverständlich waren. Wir hatten keinen Fernseher, es gab keine Computerspiele, aber dafür entschädigte die Stille und Ruhe. Da konnte man sich dann gut der Musik widmen oder lesen. Ich habe dadurch gelernt, mich auf eine Sache ganz und gar zu konzentrieren.«
Wie wichtig für ihn das Violinspiel war, wurde ihm schmerzhaft bewusst, als er 1999 bei einem Brand schwere Verletzungen erlitt und lange nicht klar war, ob er überhaupt noch professioneller Geiger werden könnte. Doch Hadelich kämpfte sich zurück, mit Mut, Energie und einer unbedingten Willenskraft.
Makellosigkeit und persönliches Timbre
Seit 2020 spielt Hadelich die Guarneri del Gesù »Le Duc« des polnischen Virtuosen Henryk Szeryng. »Henryk Szeryng war für uns alle ein Vorbild, was die Makellosigkeit seines Spiels anging. Dass sein Instrument jetzt jemandem anvertraut ist, der ebenfalls ein besonderes Sensorium für den Geigenton hat, das ist wunderbar,« findet Christoph Streuli. Hadelich liebt den Klang der »Le Duc«, »er ist warm und menschlich wie eine Stimme mit sehr persönlichem Timbre«, erklärt er. Auch Seine Vielseitigkeit im Repertoire findet Christoph Streuli bemerkenswert: »Die Kür hat Hadelich 2018 mit den Caprices von Paganini präsentiert. Die sind für alle Geiger ein Meilenstein, da muss man sich mit den Heroen messen, und das hat Hadelich hervorragend gemacht. Er hat aber auch Ligetis Violinkonzert aufgenommen, ein wahnsinnig schweres Stück, und er hat eine spannende Tango-Platte vorgelegt.«
Werdegang:
Studium am Istituto Mascagni in Livorno und der New Yorker Juilliard School
2006 Preisträger der International Violin Competition of Indianapolis
2009 Auszeichnung mit dem Avery Fisher Career Grant
2016 Grammy für seine Aufnahme von Dutilleux’ Violinkonzert L’Arbre des songes
2018 Solist des Jahres im Fachmagazin Musical America
Alessandro Cappone wiederum fasziniert an Hadelich, »dass er Enormes leistet, ohne viel Spektakel zu machen. Er hat es nicht nötig, Klischees zu bedienen und in extravaganten Outfits auf die Bühne zu kommen, sondern widmet sich ganz der Musik.« Dazu passt, dass sich Hadelich während der Corona-Pandemie intensiv mit Bach auseinandergesetzt hat: »Diese Musik ist Balsam für die Seele, sie spendet Trost und Freude, sie baut einen auf«, weiß er. Und dann hat er auch noch ein Podcast-Tutorial ins Leben gerufen, »Ask Augustin«, bei dem er allerlei technische und berufspraktische Fragen beantwortet. Da erfährt man etwa, wie er mit Lampenfieber umgeht: »Mein Tipp ist, bewusst und tief zu atmen. Und zu wissen, bei welchen Tönen des Stücks man atmet. Man darf sich nie wie ein Tier verhalten, dass im Scheinwerferlicht stehenbleibt und sich nicht mehr bewegt.« Für sein Debüt bei den Philharmonikern ist er also bestens gerüstet. Und an einer Portion guter Pasta, die er – ein festes Ritual – stets mittags vor den Konzerten zu sich nimmt, daran wird es auch in Berlin nicht mangeln.
Susanne Stähr
Aus der aktuellen Ausgabe von Phil – Das Magazin der Berliner Philharmoniker.