Frühlingssehnsucht
Während ein Komponist mit höfischer Anstellung im 18. Jahrhundert vor allem den Geschmack seines Dienstherrn befriedigen musste, stand ein freischaffender Künstler vor einer ungleich komplexeren Aufgabe. Denn das überwiegend bürgerliche Publikum der ersten öffentlichen Konzerte vereinte gleichermaßen eingefleischte Kenner und unbedarfte Liebhaber. »Um Beifall zu erhalten«, erklärte Wolfgang Amadeus Mozart daher seinem Vater, »muss man Sachen schreiben, die so verständlich sind, dass es ein Fiaker nachsingen könnte, oder so unverständlich, dass es ihnen, eben weil es kein vernünftiger Mensch verstehen kann, gerade eben deswegen gefällt.«
Diese Strategie konnte Mozart beim Wiener Publikum besonders gut in der Doppelrolle als Komponist und Solist mit seinen Klavierkonzerten erproben – einer Gattung, die er fast ohne Vorbilder wie kein anderer in rund zwei Dutzend Werken gestaltet hat. Das am 5. Januar 1791 vollendete Konzert in B-Dur sollte – er konnte es nicht ahnen – sein letztes sein. Geprägt von anmutiger Einfachheit, wie sie nur ein Mozart riskieren konnte, schließt es mit einem verspielten Rondo über das Lied Sehnsucht nach dem Frühling (mit dem Text »Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün«).
Fünfzig Jahre später skizzierte Robert Schumann im glühenden »Frühlingsdrang« in nur vier Tagen seine Erste Symphonie. Dabei hatten ihn zuvor lange heftige »Symphonieskrupel« geplagt, Beethovens Erbe wog schwer. Der lähmende Knoten platzte 1839 auf einem Wiener Dachboden, wo Schumann in Franz Schuberts Nachlass dessen sogenannte »Große« C-Dur-Symphonie entdeckte – und in ihr eine »ganze neue Welt«. Als er das Stück in einer Probe hörte, gestand er seiner Verlobten Clara Wieck: »Ich wünschte nichts, als Du wärest meine Frau und ich könnte solche Symphonien schreiben.«
Beides war leichter gesagt als getan, denn Claras Vater Friedrich Wieck versuchte nach Kräften, die Hochzeit des Paares zu verhindern. Ein mittelloser Komponist, der seiner bereits als Pianistin berühmten Tochter nichts zu bieten hatte, kam für ihn als Bräutigam nicht in Frage. Das Prestige eines erfolgreichen Debüts als Symphoniker hätte Schumann in dieser Hinsicht fraglos genutzt. Doch so schnell wollte ihm der große Wurf nicht gelingen. Stattdessen zog er gegen Wieck vor Gericht – und gewann.
Die hart erkämpfte Hochzeit im Herbst 1840 brachte schließlich den finalen Motivationsschub, dem die vom heiter gelösten Aufbruchstonfall geprägte »Frühlingssymphonie« entsprang, wie Schumann seine Erste taufte. Der an Schuberts C-Dur-Symphonie erinnernden Anfangsfanfare unterlegte er rhythmisch das Motto »O wende, wende deinen Lauf / Im Tale blüht der Frühling auf!«. Noch schwelten letzte Skrupel. Bevor er sich mit seinem symphonischen Erstling den hohen Erwartungen des Leipziger Publikums stellte, sicherte sich Schumann durch die Beratung mit Freunden wie Felix Mendelssohn ab, feilte, verbesserte – mit Erfolg! Schumanns Erste bescherte ihrem glücklichen Verfasser überschwänglichen Jubel und läutete zugleich einen neuen Frühling der Symphonik ein.
Susanne Ziese