Wie man Mozart wird
Anmerkungen zu La finta giardiniera KV 196
»Gottlob! Meine opera ist gestern als den 13ten in scena gangen; und so gut ausgefallen, daß ich der Mama den lärmen ohnmöglich beschreiben kan. Erstens war das ganze theater so gestrozt voll, daß vielle leüte wieder zurück haben müssen. Nach einer jeden Aria war alzeit
ein erschröckliches getös mit glatschen, und viva Maestro schreÿen. S: Durchlaucht die Churfürstin, und die verwitwete, |: welche mir vis à vis waren :| sagten mir auch bravo. wie die opera aus war, so ist unter der zeit wo man still ist, bis der ballet anfängt, nichts als geglatscht und bravo geschrÿen worden; bald aufgehört, wieder angefangen, und so fort. Nach dem bin ich mit meinen papa in ein gewisses Zimer gangen, wo der Churfürst und der ganze hof durch Muß und hab s: d: den Churfürste und Churfürstin und den hoheiten die händ geküst, welche alle sehr gnädig waren. heünt in aller frühe schickt S: fürstlichgnaden bischof in Chiemsee her, und läst mir gratuliren, daß die opera beÿ allen so unvergleichlich ausgefallen ist. wegen unserer rückreise wird es so bald nichts werden, und die Mama soll es auch nicht wünschen, dan die Mama weis ja wie wohl daß schnaufen thut – – – – wir werden Noch fruh genung – – komen. Eine rechte und noth=wendige ursache ist, weil den künftigen freÿtag die opera abermahl geben wird, und ich sehr nothwendig beÿ der Production bin – – sonst wurde Man sie nicht mehr kennen – – – – dan es ist gar Curios hier. ich küsse der Mama 1000 mahl die hände.«
Der Brief, den Wolfgang Amadeus Mozart am 14. Januar 1775 – knapp zwei Wochen vor seinem 19. Geburtstag – aus München der Mutter nach Salzburg schickt, ist eines der längsten Dokumente zu seiner dreiaktigen Opera buffa La finta giardiniera KV 196. Ob die Premiere im Salvatortheater wirklich so ein Erfolg war, wie Mozart behauptet, ist freilich ungewiss. In München wurde sie nur noch zwei weitere Male (mit einigen Kürzungen) gespielt – am 2. oder 3. Februar und am 2. März –, und der mutmaßliche Auftraggeber, der Hofmusikintendant Joseph Anton Graf von Seeau, hatte das »erschröckliche getös mit glatschen« offenbar ganz anders erlebt, wie Mozart einige Jahre später in Mannheim erfuhr: »wissen sie wohl, was dlr vlriehcutl klre olmh [= der verfluchte Kerl Seeau, in Mozarts üblicher Kryptographie bei heiklen Informationen] hier gesagt hat? – Meine opera buffa zu München seÿe ausgepfiffen worden!«, schimpft er am 12. November 1778 in einem Brief an seinen Vater. » – unglücklicherweise hat er es aber in einen ort gesagt, wo man mich gar zu sehr kent! – mich ärgert aber nur die kekheit, indeme die leüte wen sie nach München komen, just das gegentheil erfahren könen!«
Verbesserungen? – Singspielfassungen und postume Partitur-Revisionen
Wie dem auch sei: Die italienische Originalfassung wurde zu Lebzeiten Mozarts nirgends und nie mehr wieder aufgeführt. Eine deutsche, stark gekürzte und mit gesprochenen Dialogen statt der Rezitative eingerichtete Singspielfassung hatte die Wandertheatertruppe von Johann Heinrich Böhm 1779/1780 in ihr Repertoire aufgenommen und mit einigem Erfolg unter anderem in Augsburg, Frankfurt am Main und Mainz gespielt. Unter dem Titel Die verstellte Gärtnerin / Das verstellte Gärtner-Mädchen hatte der Schauspieler Johann Franz Joseph Stierle das Libretto flüssig und charmant in jene Version übersetzt, die auch der heutigen Aufführung zugrunde liegt. Auch Emanuel Schikaneder scheint sich zeitweise für das Werk interessiert zu haben, wie ein Brief Leopold Mozarts an seinen Sohn vom 2. Dezember 1780 zeigt: »Her: Schickaneder danckt dir für die Aria, ich muß ihm auch die Aria Dentro il mio petto io Sento aus der opera Bffa [– die Nr. 3, Arie des Podestà aus dem ersten Akt –] schreiben lassen.«
Erst knapp fünf Jahre nach Mozarts Tod wurde La finta giardiniera erneut aufgeführt, und zwar bezeichnenderweise in Prag – der Stadt, die Mozarts Opern so oft mehr Liebe und Verständnis entgegengebracht hatte als Wien. Die Premiere fand am 10. oder 17. März 1796 am Vaterländischen Theater unter dem Titel La finta giardiniera per Amore statt und wurde als neues, »noch auf keiner Bühne erschienen[es]« Werk angekündigt. Das Stück wurde tatsächlich »in einer völlig neuen Bearbeitung gespielt«, wie René Jacobs schreibt, der diese (in einer Abschrift überlieferte) Fassung 2012 auf CD aufgenommen hat: »Die originale Instrumentation in Mozarts Autograf wurde in fast allen Nummern erweitert und ein Großteil der Nummern zum Teil drastisch gekürzt.« Wer diese »in jeder Hinsicht erhebliche Verbesserung der ursprünglichen Gestalt« (der Mozart-Biograf Hermann Abert, 1919) vorgenommen hat, ist unbekannt; die gelegentlich geäußerte These, Mozart selbst habe möglicherweise einen Anteil daran gehabt, lässt sich durch nichts stützen. Fest steht nur, dass diese »Prager Fassung«, die auch heute Abend erklingt, 1797 auf Deutsch (unter dem Titel Die Gärtnerin aus Liebe) im schlesischen Städtchen Oels (heute: Oleśnica) nachgespielt wurde.
Das Libretto – ein Erfolgsrezept aus Rom?
In der Karnevalssaison 1773/1774 war in Rom am Teatro delle Dame das dreiaktige Dramma giocoso La finta giardiniera von Pasquale Anfossi uraufgeführt worden. Das anonyme Libretto in klassischer Commedia-dellʼarte-Manier stammte wahrscheinlich von Giuseppe Petrosellini; andere Quellen nennen Ranieri deʼ Calzabigi als Autor – den Textdichter der Wiener Reformopern Christoph Willibald Glucks –, und das Köchel-Verzeichnis fügt hinzu: »überarbeitet von Marco Coltellini«, der 1768 Carlo Goldonis La finta semplice für Mozart in ein Libretto verwandelt hatte. Jedenfalls feierte das Werk in Rom einen solchen Triumph, dass es bald überall in Europa nachgespielt wurde und Graf Seeau wohl von diesem Erfolg profitieren wollte, als er im Herbst 1774 dem 18-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart eine entsprechende scrittura – einen Opern-Auftrag – nach Salzburg sandte. Ob sich Mozart als Konkurrent Anfossis empfand, ist ungewiss. Ein knappes Jahrzehnt später (1783) jedenfalls komponierte er in Wien zwei Einlagearien (KV 418 und 419) für eine andere Oper Anfossis (Il curioso indiscreto), und er ließ eigens mit einem Einlegezettel im Textbuch darauf hinweisen, »dass er damit in keiner Weise den Ruf und Ruhm des höchst angesehenen Neapolitaners schmälern wolle« (»senza che rimanga in alcuna parte pregiudicata la riputazione e la fama del già molto cognito Napolitano«). Der Grund war – so ein Brief an den Vater Leopold vom 2. Juli 1783 –, »daß Meine feinde so boshaft waren schon vorhinein aus=zusprengen; Mozart will die opera des anfossi Corrigiren.«
»Dass Mozart von dem Stück und von seiner Dramaturgie berührt gewesen wäre, darf man ausschließen.« (Stefan Kunze). Aber natürlich fügte er sich dem Auftrag – glücklich genug darüber, zwei Jahre nach seinem Lucio Silla für Mailand endlich wieder eine Oper schreiben zu können, sein mittlerweile achtes Bühnenwerk. Über die Hintergründe des Auftrags und die Entstehung der Partitur weiß man so gut wie nichts, und kaum mehr über die Vorbereitungen und Proben für die Münchner Produktion. Und angesichts der dürftigen Rezeptionsgeschichte tun sich auch die frühen Biografen schwer mit dem Werk – zum Beispiel Ignaz Ferdinand Cajetan Arnold in seiner Studie Mozarts Geist. Seine kurze Biographie und ästhetische Darstellung (Erfurt 1803), der La bella [!] finta giardiniera als »Opera buffa in 2 [!] Akten« erwähnt und behauptet, sie sei »Für Kaiser Joseph II. 1774 geschrieben« worden: »Doch kann man ihr weder Originalität noch Regelmäßigkeit absprechen; ja sie läßt gewiß so manche andere italienische Oper weit hinter sich. In ihr scheint sich die Knospe zu entfalten, die im Idomeneo als frische Blume aufsproßte.« Der Vergleich mit dem sechs Jahre später gleichfalls für München komponierten Idomeneo zieht sich wie ein roter Faden durch fast die ganze Mozart-Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Dabei ergibt sich allerdings ein schiefes Bild, wenn man La finta giardiniera im Rückblick betrachtet und beurteilt, im Wissen um die späteren Opern. Denn das Stück ist sehr viel mehr als nur eine vielversprechende »Knospe« – es ist ein Lehrstück darüber, »wie man Mozart wird«.
Menschen aus Fleisch und Blut statt Stereotypen der Commedia dellʼarte
Natürlich folgt der Komponist mit aller gebotenen »Regelmäßigkeit« den damals geltenden Gesetzen einer Opera buffa. Die Rollenverteilung der beiden Liebespaare – Arminda und die Kastratenrolle des Ramiro als »parti serie«, Sandrina und Belfiore als »parti di mezzo carattere« – sowie die »parti buffe« des komischen Dienerpaars Serpetta – Nardo und des Podestà Don Anchise entsprechen ebenso exakt den Gattungsregeln wie die Irrungen und Wirrungen der Handlung. Auch die Szenen und Arien folgen den üblichen Typologien: aufgewühlte »Arie agitate« (Nrn. 13, 21 und 26, alle drei im Allegromit dem ausdrücklichen Zusatz »agitato« versehen), Register- (Nr. 8) und Gleichnis-Arie (Nr. 11), »Ombra«-Szene (Nrn. 19/20) und Kavatine (Nr. 22). Aber viele dieser Szenen und Arien haben eine Affekt-Fallhöhe, die viel eher zum ernsten Genre der Opera seria gehört. Mozart bringt Menschen aus Fleisch und Blut auf die Bühne, keine Stereotypen. Vor dem Hintergrund einer leichten Verwechslungskomödie sind ihre Gefühle so tief und wahrhaftig, dass sie alle ironischen oder parodistischen Winkelzüge der Handlung quasi ad absurdum führen. Schroffe, gegen das Metrum gesetzte Akzente, überraschende harmonische Ausweichungen, Erweiterungen der tradierten Da-capo-Form (A-B-Aˈ), stilisierte Tanzgesten (wie Menuett oder Sarabande) und die subtile Instrumentation entfalten »eine vielfältige und plastische Gebärdensprache, die das Vorgeformte aufzehrt und es in ein Panorama von konventionssprengender Empfindung verwandelt« (Stefan Kunze).
Besonders deutlich wird dies in den beiden großen Final-Ensembles des ersten und zweiten Akts mit ihren jeweils rund 500 Takten, in denen alle Handlungsstränge und Protagonisten – präzise wie ein Räderwerk – ineinandergreifen und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Vieles davon findet in der Harmonik seinen Ausdruck, bisweilen auf engstem Raum. Im ersten Finale etwa moduliert Mozart in gerade einmal 20 Allegro-Takten im Dreiviertel-Metrum von D-Dur (Arminda, T. 392: »Unmensch! Verräter, könntʼ ich dein Herz in Stücke zerreißen!«) nach h-Moll/e-Moll (Ramiro, T. 399: »Den großen Eifer und Ihre Hitze begreifʼ ich nicht«), nach a-Moll (Podestà, T. 404: »Kannst meine Güte so wenig schätzen?« / Serpetta, T. 406: »Könntʼ ich Sie aus dem Haus mit Hunden hetzen« / Nardo, T. 409: »Bei diesem Handel gebricht mir die Sprachʼ«) und in den Takten 412ff wieder zurück nach e-Moll (Sandrina: »Ach, welches Herzeleid!«). »Darüber hinaus deklamiert Arminda, das Edelfräulein, im höfischen Rhythmus des Menuetts, der leidende Ramiro im »schluchzenden« Rhythmus der Sarabande, der Podestà und Serpetta im buffatypischen Achtelgeplapper und Sandrina schließlich mit weit ausladenden Intervallen noch einmal im Rhythmus der Sarabande. Dass sie die wahrhaft Leidende ist, macht Mozart durch den chromatisch absteigenden Bass deutlich, der, als traditioneller Lamentobass, ihren Gesang begleitet.« (Silke Leopold) Wenn man dieselbe Final-Sequenz mit der Vertonung Pasquale Anfossis vergleicht, die hier harmonisch und metrisch schnurstracks »geradeaus« verläuft, zeigt sich Mozarts Genie umso deutlicher.
Zu den wenigen, die dieses Genie schon früh erkannten, gehörte Christian Friedrich Daniel Schubart, der eine der drei Münchner Aufführungen besuchte und am 27. April 1775 darüber in seiner Deutschen Chronik berichtete: »Auch eine Opera buffa habe ich gehört von dem wunderbaren Genie Mozart; sie heißt: La finta giardiniera. Genieflammen zückten da und dort; aber es ist noch nicht das stille Altarfeuer, das in Weihrauchswolken gen Himmel steigt – den Göttern ein lieblicher Geruch. Wenn Mozart nicht eine im Gewächshaus getriebene Pflanze ist, so muß er einer der größten musikalischen Komponisten werden, die jemals gelebt haben.«
Michael Stegemann