Die Europakonzerte der Berliner Philharmoniker

Europakonzert 2016 aus Røros, Norwegen
(Foto: Monika Rittershaus)

So stark die Berliner Philharmoniker auch in ihrer Heimatstadt und ihrem einzigartigen Konzertsaal verwurzelt sind: Der Wirkungskreis des Orchesters hat sich seit der Gründung im Jahre 1882 über die städtischen und nationalen Grenzen, längst auch über die Grenzen Europas hinaus ausgeweitet. Für den Status eines musikalischen »Global Players« sind vor allem zwei Faktoren entscheidend: zum einen die regelmäßigen und geographisch immer weiter ausgreifenden Konzert-Tourneen, die bereits kurz nach der Gründung des Orchesters einsetzten, zum anderen mediale Aktivitäten, die dem internationalen Publikum die Auftritte der Berliner Philharmoniker auf technisch bestmöglichem Niveau präsentieren. Beides verbindet sich in dem seit 1991 jährlich am 1. Mai stattfindenden Europakonzert auf einzigartige Weise. Das jeweils an einem kulturgeschichtlich bedeutsamen Ort der Alten Welt aufgeführte Konzert können über Fernseh-Übertragungen Zuschauer in aller Welt und mittlerweile auch die Nutzer der Digital Concert Hall miterleben. Nicht zuletzt sicherten die Aufzeichnungen eine lückenlose Dokumentation dieser inzwischen mehr als ein Vierteljahrhundert umspannenden Reihe.

Von symbolischer Bedeutung sind für das Europakonzert sowohl das Datum des 1. Mai, mit dem an die Gründung des Orchesters am gleichen Tag im Frühling 1882 erinnert wird, wie auch das Jahr 1991, in dem das Konzert zum ersten Mal stattfand. Die ersten Planungen des Projekts reichen zwar in die Vorwendezeit zurück, seine Geburtsstunde aber erlebte das Europakonzert im Lichte der Wiedervereinigung Deutschlands und im Zeichen veränderter Ost-West-Beziehungen. »Wir wollen […] mit unserer musikalischen Aktivität einen kulturellen Akzent im sich neu ordnenden Europa setzen«, hieß es denn auch damals in einem Statement der Berliner Philharmoniker.

Von Lissabon bis Moskau

Inzwischen ergeben die Europakonzerte eine Landkarte, die von Lissabon im Westen bis Moskau im Osten, vom norwegischen Røros im Norden bis zum zyprischen Paphos im Süden reicht. Das praktizierte europäische Selbstverständnis macht dabei nicht an den Grenzen der EU halt, wie Auftritte in Russland, in Norwegen und in der Türkei belegen. Und gelegentlich gastieren die Philharmoniker gewissermaßen bei sich selbst: Zum 10-jährigen Jubiläum der Institution spielte man ebenso in der Philharmonie wie 2014, als sich die Eröffnung des Scharoun-Baus zum 50. Mal jährte. Die ausgewählten Werke vermitteln dabei den ganzen Reichtum der europäischen Musikgeschichte: Wolfgang Amadeus Mozart, bis heute Inbegriff eines europäischen Komponisten, stand im Zentrum der beiden Europakonzerte in Prag, die 1991 ins 200. Todesjahr und 2006 in die Jubiläumsfeiern zum 250. Geburtstag Mozarts fielen. Ersteres dirigierte der frisch gekürte Chefdirigent Claudio Abbado im Smetana-Saal des Prager Gemeindehauses, einem Jugendstilbau, letzteres Daniel Barenboim im neoklassizistischen Ständetheater, das unter anderem die Uraufführung von Mozarts Don Giovanni beherbergt hatte.

Überhaupt wird bei den Europakonzerten gern der »genius loci« der gastgebenden Städte und Länder zelebriert: Joaquin Rodrigos Concierto de Aranjuez erklang in Madrid, Elgars Cellokonzert in Oxford, ebenso stand Strawinsky in Moskau auf dem Programm, Verdi in Neapel und Palermo, Bartók in Budapest und Chopin in Krakau. Auch die Auswahl der weltberühmten Solisten und Ensembles folgt dieser Dramaturgie: So traten die Philharmoniker in Lissabon mit der portugiesischen Pianistin Maria João Pires auf, in Athen interpretierte der Grieche Leonidas Kavakos das Violinkonzert von Sibelius, der Schwedische Kammerchor musizierte mit den Philharmonikern in Stockholm, und im norwegischen Røros feierte die junge Geigerin Vilde Frang ihr Debüt beim Orchester.

Der Reichtum der europäischen Kultur

So stimmungsvoll wie die Musik sind regelmäßig auch die Schauplätze der Konzerte: Open Air musizierten die Philharmoniker im antiken Odeon-Theater zu Füßen der Akropolis, im schwedischen Vasa-Museum bot ein im 17. Jahrhundert gesunkenes und komplett geborgenes Kriegsschiff die Kulisse zur Ouvertüre von Wagners Fliegendem Holländer, die prächtigen Opernhäuser in Palermo und Sankt Petersburg waren ebenso Aufführungsorte wie die grandiose gotische Marienkirche in Krakau und die intime Barockkirche in der norwegischen Bergbaustadt Røros.

Diese Schauplätze sollen indessen mehr sein als eine eindrucksvolle Kulisse und vielmehr den Grundgedanken der Europakonzerte sichtbar machen. Olaf Maninger, Solo-Cellist und Medienvorstand des Orchesters, beschreibt diese Intention so: »Der musikalisch formulierte europäische Gedanke verschränkt sich in diesen Konzerten mit der bestechenden Optik der oft ungewöhnlichen Aufführungsorte. Indem wir an so unterschiedlichen Orten wie dem Palazzo Vecchio in Florenz, dem Escorial in Madrid oder dem Schloss von Versailles konzertiert haben, gewinnt man einen Eindruck vom Reichtum der europäischen Kultur.«


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